Der Lean CRM Ansatz

Auf Ideallinie zum Kunden

Lean CRM ist eine Methode, um auf kürzestem Wege messbare Erfolge bei Kundengewinnung, -bindung und -rückgewinnung zu realisieren. Es basiert auf der iterativen Überprüfung erfolgskritischer Hypothesen, wie z.B. bezüglich des Kundenpotentials. Es ist gleichzeitig das Eingeständnis der Unsicherheiten bei der Einschätzung von realisierbaren Zielen, wie z.B. von bestimmten Kundenreaktionen und stellt damit einen Paradigmenwechsel dar.

Damit vermeidet die Methodik des Lean CRM die budgetkritischen Irrwege der klassischen CRM-Aktivitäten und kann deutlich schneller, deutlich bessere Erfolge erzielen. Die Methodik geht ursprünglich auf das Lean Manufacturing zurück, dass erstmals von Toyota sehr erfolgreich eingesetzt wurde.

Entlehnt ist das Lean CRM jedoch der Startup-Szene, von der die Lean-Methodik regelrecht aufgesogen und stark weiter entwickelt wurde. Für Vertriebsorganisationen ist Lean CRM die Reaktivierung des kundenfokussierten Unternehmertums.

Ausblick

Wir werden den Ansatz des Lean CRM näher erläutern. 

1. Überblick Lean CRM

Welche Herkunft hat das Thema? Wie umfassend wird Lean CRM verstanden? Was sind die Kernbestandteile der Lean CRM Methodik?

Herkunft Lean CRM

Sie haben die Geschichten von erfolgreichen Startups schon tausend mal gehört. Junge Studenten taten sich zusammen und gründeten auf Basis einer innovativen Idee ein Unternehmen in den eigenen vier Wänden. Nach kurzer Zeit bereits stellten sich große Erfolge ein, man stellte Mitarbeiter ein und schaffte Maschinen an. Und siehe da, heute sind Unternehmen wie Zalando aus der deutschen Unternehmenslandschaft nicht mehr fortzudenken.

Was können wir daraus lernen? Ehrlich gesagt, relativ wenig. Die Geschichten, die sich um erfolgreiche Startups ranken, sind weitgehend unvollständig. Es werden oft nur einige wenige aber umso erfolgreichere Strategieentscheidungen hervorgehoben, sodass die Unternehmen im Glanz der Genialität schimmern. Wollen etablierte Vertriebsorganisationen von Startups lernen, müssen sie die ganze Geschichte kennen. Aber warum sollten etablierte Vertriebsorganisationen von Startups lernen? Die Antwort ist: “Agilität”.

Erfolgreiche Startups schaffen es, Märkte extrem schnell, risikoarm und vor allem sehr erfolgreich zu erobern. Viele etablierte Vertriebsorganisationen befinden sich in dem Dilemma, sich verändern zu müssen, um erfolgreich zu bleiben, während Aufwand und Kosten der Veränderung den Nutzen jedoch größtenteils wieder verschlingen. Im Wettbewerb wird sich derjenige durchsetzten, der sich die Agilität der Marktbearbeitung bewahrt. Die Methodik hierzu wurde ständig weiterentwickelt und wird als Lean CRM bezeichnet.

Kennen Sie Toyota? Die Frage klingt lächerlich, aber ohne das Lean Manufacturing müssten Sie wahrscheinlich verneinen. Toyota sah sich in seiner Gründungsphase einem ausgeprägten Ökosystem amerikanischer Automobilunternehmen mit gigantischen Losgrößen und entsprechend hohen Skalenerträgen gegenüber. Um am Markt bestehen zu können, musste Toyota in kleinen Losgrößen arbeiten, ohne einen Effizienznachteil zu haben. Der Schlüssel dazu war die Just-In-Time-Produktion, die die Lagerbestände verringerte und vor allem Fehl- und Überproduktionen durch sehr kleine Losgrößen minimierte. Zudem konnte Toyota dank der kleinen Losgrößen differenzierter die Kundenbedürfnisse bedienen. Es stellte sich heraus, dass das Lean Manufacturing das überlegene Verfahren der Produktionsmethoden war, welches Toyota heute zum größten Automobilhersteller der Welt erhoben hat. Aufgeschreckt von den Erfolgen begannen in den 80-iger Jahren nun auch die etablierten Automobilgrößen das japanische Produktionssystem zu studieren und zu adaptieren.

Lean CRM Überblick

Etablierte Vertriebsorganisation stehen heute vor ähnlichen Herausforderungen. In gesättigten Märkten lassen sich Marktanteile oftmals durch Differenzierung und geringe Cost-to-Serve gewinnen. Was erfolgreichen Startups im Handumdrehen zu gelingen scheint, stellt für etablierte Vertriebe eine echte Herausforderung dar. Was also können wir von den Startups lernen? Welche Methoden werden hier eingesetzt, um die Märkte erfolgreich zu erobern und welche Paradigmen liegen dem “Lean CRM” zugrunde?

Ganzheitliches Customer Relationship Management

Zunächst einmal sei erwähnt, dass das Customer Relationship Management nicht neu erfunden wurde. Der Kunde und dessen Wert wird konsequent in den Fokus der CRM-Aktivitäten gestellt. Die Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen ist dabei das tragende Motiv der Marktbearbeitung. Damit umfasst das CRM ganzheitlich den gesamten Kundenlebenszyklus vom Sales-Funnel über Bestandkundenbindung und -entwicklung bis hin zur Kündigerrückgewinnung. Eine besondere Bedeutung haben im Lean CRM das Produktmanagement und -marketing, der Vertrieb und das Bestandskundenmanagement in Verbindung mit stark ausgeprägten Kanälen. Lean CRM definiert dabei ähnlich wie bei Toyota nicht das Was, sondern das Wie neu, also die Methoden wie CRM zu betreiben ist, um schnell, risikoarm und erfolgreich den Markt zu erschließen. Im Lean CRM geht es um ein permanentes faktenbasiertes Erschließen von Kundenbedürfnissen.

Hypothesen – Der Klügste ist der, der weiß, dass er nichts weiß

Viele Entscheidung für neue und bestehende CRM-Aktivitäten basieren auf einem Vertrauensvorschuss. Nehmen wir zum Beispiel die Einführung eines Kundenmagazins. Viele Unternehmen verfügen über ein Kundenmagazin. Als klassisches Mittel des CRM soll damit die Kundenlebensdauer bei churngefährdeten Kundengruppen mit hohem Kundenwert verringert werden. Der Trend geht klar in die Richtung zum eigenen Kundenmagazin (die Wettbewerber haben es auch). Zudem passt es wunderbar in Unternehmensstrategie mit starkem Servicegedanken und vor allem bedeutet eine erhöhte Kundenbindung ja auch erhöhte Kundenwerte und damit steigende Gewinne.

So oder so ähnlich könnte eine Projektbegründung für die Einführung eines Kundenmagazins aussehen. Das Projekt kann starten. Auf eine 360° Analysephase mit anschließender Grob-und Feinkonzeption folgt die Aushebung unternehmensinterner Prozesse und Verantwortlichkeiten sowie eine gründliche Auswahl der Agentur. Das war die alte Welt.

Der Lean-CRM-Ansatz macht sich eines von Anfang an bewusst. Die Projektbegründung fußt auf einem Vertrauensvorschuss. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass es betriebswirtschaftlich lohnend ist, ein Kundenbindungsmagazin einzuführen. Im Klartext: Die Kosten der Einführung und regelmäßigen Versendung eines Kundenbindungsmagazins sind deutlich geringer, als der gesteigerte Gewinn aus der Verlängerung der Kundenlebensdauer.

Die Einflussfaktoren, die über das Zutreffen der Hypothese entscheiden, sind unzählbar. Wurde das richtige Kundensegment ausgewählt, wurden die richtigen Inhalte ausgewählt, kann die Agentur die Inhalte angemessen darstellen, …? Nur eines ist sicher, niemand kann mit Sicherheit bestimmen, ob diese Hypothese des lohnenden Investments stimmt.

Validierung – Von der Alchemie zur Wissenschaft

Während in etablierten Unternehmen oftmals das Zutreffen der Hypothese vorausgesetzt und das Projekt nun budgetiert und gestartet wird, ist man sich im Lean CRM der Ungewissheit über das Zutreffen bewusst und geht damit entsprechend professionell um. Mit möglichst geringem Aufwand müssen die Annahmen validiert und mit Fakten belegt werden.

Konventionelles vs. Lean CRM

Für die Validierung gibt es verschiedene Methoden, die später ausführlicher beschrieben werden. Das Lean CRM vermeidet dabei konsequent die großen Losgrößen, z.B. den Big Bang eines Kundenmagazins für 50.000 Kunden. Eine Validierung ohne Kundenfeedback ist jedoch in aller Regel ebenfalls ausgeschlossen. Um die Hypothese zu testen wird eine sogenannte minimal funktionsfähige Anwendung (MFA) benötigt. Für eine Testgruppe von z.B. 1000 Kunden würde in kürzester Zeit (z.B. 4 Wochen) ein einfaches Kundenbindungsmagazin erstellt werden, dass alle wesentlichen Elemente enthält. Nun kann die Kundenreaktion gemessen werden.

Hat sich die Kündigungsquote der Testgruppe gesenkt? Das Nachtelefonieren der Kunden ist zudem sehr nützlich. Haben die Kunden das Magazin wahrgenommen, gelesen, für gut/schlecht befunden? Was kann verbessert werden? Welche Aspekte wurde unterschätzt. Dieses erste Kundenfeedback wurde mit einem Bruchteil des Aufwandes generiert, der für einen Big Bang notwendig gewesen wäre und hilft so dabei den eingeschlagenen Kurs frühzeitig im Projekt an die realen Kundenbedürfnisse und -reaktionen anzupassen.

Wem würden Sie ein solches Projekt anvertrauen, einem selbsternannten Experten, der nicht belegbare Behauptungen für die Einführung eines Kundenmagazins vorlegt, oder jemandem der sich der Unwägbarkeiten bewusst ist und sich deshalb auf das Erlangen von messbarem Fakten, in diesem Falle dem Kundenfeedback und der Churn-Quote, konzentriert? Oder spitz formuliert, vertrauen Sie der Alchemie von Powerpoint-Folien oder der Wissenschaft messbarer Ergebnisse?

Fazit

Lean CRM ist eine überlegene Methode, um schnell, risikoarm und erfolgreich Märkte zu erschließen. Einer Vertriebsorganisationen wird durch den Lean-Ansatz die Agilität eines Startups verliehen. Durch deutlich kürzere Iterationen von CRM-Aktivitäten mit anschließendem messbaren Ergebnissen und Kundenreaktionen lernt die Organisation extrem schnell die Bedürfnisse der Kunden zu verstehen und vermeidet damit konsequent kostspielige Umwege und Fehlentwicklungen, die bei großen Projekten üblich sind.

2. Hypothesen Bilden

Nachdem wir Ihnen einen ersten Überblick über den Lean CRM Ansatz gegeben haben, möchten wir Ihnen nun einen wichtigen Kernbestandteil der Lean Methode näher bringen. Die Hypothesen.

Ein Beispiel aus der alten Welt

Wenn im Vertrieb etwas Neues entwickelt oder etwas Bestehendes überarbeitet wird, so geschieht dies in aller Regel in der Überzeugung, man wisse schon, was man täte.

Sie haben beispielsweise bereits eine umfangreiche Analyse Ihres Produktportfolios durchgeführt oder sogar durch einen Experten durchführen lassen. Im Ergebnis kam dabei heraus, dass Sie mit Ihren Basisprodukten für Ihre Zielsegmente gut ausgerichtet sind, aber Ihnen zur Abrundung des Portfolios beispielsweise ein ökologisches Produkt fehlt. Das Ganze wird mit Zielgruppenbedürfnissen, Wettbewerbsanalysen, Umfeldanalysen und allgemeinen Best Practises anschaulich begründet.

Was nun normalerweise folgt, ist klar. Das Produkt muss her. Es muss konzipiert, in die Systeme eingeführt und geschult werden. Natürlich darf eine Markteintrittsstrategie mit flankierenden Marketingmaßnahmen nicht fehlen. 250.000 Euro später kommt der gefürchtete Moment. Das erste Kundenfeedback. Das Produkt wird möglicherweise nur teilweise angenommen und bleibt hinter den Planzahlen zurück. Zudem muss noch ein Folgeprojekt durchgeführt werden, um bestimmte Nachbesserungen zu erledigen.

Was ist nur schief gelaufen? War die Analyse nicht ausführlich genug? Die Umsetzung am Ziel vorbei? Die Marketingmaßnahmen verfehlt?

Der Vertrauensvorschuss

So sehr Sie auch suchen, Sie werden sich keinen Vorwurf machen können, vorausgesetzt, Sie haben all das, was Sie getan haben sauber und ordentlich ausgeführt. Die beispielhaft genannte Analyse des Produktportfolios hatte “gezeigt”, dass Ihnen ein ökologisches Produkt fehlt. Hier liegt der Fehler! Die Analyse hat möglicherweise Trends analysiert, das Verbraucherverhalten, den Wettbewerb etc. Was Sie Ihnen nicht garantiert, ist das sichere Geschäft mit einem neuen ökologisch ausgerichteten Produkt.

Das Analyseergebnis enthält einen Vertrauensvorschuss: Sie werden mit einen ökologischen Produkt eine solche Marge und ein solches Wachstum realisieren, sodass Sie mit den Anfangsinvestitionen einen stattlichen ROI erzielen können.

Das würde in der Analyse selbst natürlich nie so stehen. Warum nicht? Weil eine Analyse das nicht seriös ermitteln kann. Die erfolgreiche Einführung eines neuen Produktes hängt von so vielen Faktoren ab, die in der Analyse nicht ausreichend berücksichtigt werden können. Da sind zum Beispiel die Kosten der Einführung, durchsetzbare Preise und Absatzzahlen, cost to acquire (cta), costs to serve (cts) und vieles mehr.

An dieser Stelle ist es wichtig, sich Eines bewusst zu machen. Das Analyseergebnis beruht auf einem Vertrauensvorschuss. Sie wissen demnach nicht mit Sicherheit, ob sich die Einführung des Produktes tatsächlich lohnt. Mit dem Big Bang einer Produkteinführung mit allem drum und dran, setzen Sie sich dem Risiko einer Fehlinvestition aus. Sie würden buchstäblich den dritten Schritt vor dem zweiten tun und riskieren ins Stolpern zu geraten.

Hypothesen bilden

Nach dem Lean CRM Ansatz würden Sie sogar den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Denn die vorangestellte Analyse ist relativ wertlos. Denn ganz ehrlich, wenn die Markttrends, das Verbrauchsverhalten, der Wettbewerb etc. alle auf ein ökologisches Produkt hinweisen, dann ist dem Produktmanager diese Idee bestimmt nicht erst mit dem Analyseergebnis gekommen.

Vorausgesetzt Sie kennen Ihr Geschäft, dann wäre der “erste” Schritt demnach mit der bewussten Bildung von Hypothesen zu beginnen, die Sie Ihren strategischen Zielen näher bringen werden. Diese sollte sich demnach in aller Regel im strategischen Handlungsrahmen bewegen. Denkbar wäre die folgende Hypothese:

Viele unserer und potentielle Kunden haben ein starkes Bedürfnis nach einem ökologischen Produkt. Unser Unternehmen kann mit der Einführung eines ökologischen Produkts eine solche Marge und ein solches Wachstum realisieren, sodass Sie mit die Anfangsinvestitionen einen stattlichen Return on Investment (RoI) erzielen können.

Im Prinzip formulieren Sie eine Investitionsrechnung. Dies führt nicht nur zu einer Versachlichung der Diskussion, sondern zeigt genau auf, was Sie noch nicht wissen. Kernelemente einer Hypothese enthalten immer Aussagen über den Nutzen (Nutzenhypothese) für den Kunden, über das Wachstum (Wachstumshypothese) und den RoI (Effizenzhypothese). Diese Hypothese lässt sich nun in einzelne überprüfbare Hypothesen zerlegen, z.B. die Transferquote bei bestimmten Bestandkunden liegt bei mindestens 7% usw.

Überprüfung der Hypothesen

Die Überprüfung der Hypothesen erfolgt nun anhand einer minimal funktionsfähigen Anwendung (MFA). Das heißt Sie gehen zur Quelle der Erkenntnis – zum Kunden selbst.

3. Minimal Funktionsfähige Anwendungen - MFAs

Kürzlich hat mir ein Bekannter wieder von einem kuriosen deutschen Beispiel erzählt, derer es leider sehr viele gibt. Ein Großhändler hat seine Homepage erneuert. Der Kern einer sehr blumigen Begründung lautete ungefähr:

Heutzutage braucht man eine vernünftige Homepage. Und evtl. möchten wir demnächst auch im B2C-Segment einsteigen, dann brauchen wir die erst recht.

Was nun folgte, war der Standardfall – der Big Bang. Eine Agentur wurde damit beauftragt, eine neue Homepage für 350.000 € zu erstellen mit dem Fokus auf das B2C-Segment jedoch ohne Online-Shop. Und das nach allen Regeln der Kunst. Responsive, zur Darstellung auf mobilen Endgeräten. Teilen-Buttons, zur Integration in soziale Netzwerke. Viel Content, wie Rezepte zum selber kochen. Schöne Bilder, die eigens für die Website rund um die Welt geschossen wurden. Und natürlich Videos.

Sowohl der Großhändler als auch die Agentur sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis, ein echtes Vorzeigeprojekt. An dieser Stelle könnte der Artikel eigentlich enden.

Der Prozess des Lernens

Was nach einem guten Ende klingt, ist aus Investionssicht eine Katastrophe. Hier war Budget “übrig” und wurde “sinnvoll” verschwendet. Erkennen lässt sich dies bereits an der Begründung (siehe hierzu auch 2. Hypothesen bilden). Die Ziele, die mit dem Relaunch verfolgt werden sollten, sind weder klar noch deutlich formuliert. Eine Kosten-Nutzen-Abwägung (Effizienzhypothese) ist nicht im Ansatz vorhanden. Die Entscheidung steht noch aus, ob das B2C-Segment überhaupt erschlossen werden soll. Eine Homepage darauf auszurichten, ist bestenfalls fahrlässig. Doch genug von der Zielsetzung.

An dieser Stelle soll auf die Art und Weise eingegangen werden, wie ein solches Vorhaben nach dem Lean CRM Ansatz umzusetzen wäre. Ich gehe daher im Folgenden davon aus, dass der Großhändler eigentlich meinte, dass er den Kanal Online gern beherrschen möchte, um die sich bietenden vertrieblichen Chancen zu nutzen. Dabei ist das Vorgehen nach dem Big-Bang-Prinzip oft eine Fehlinvestition, da ohne ausreichendes Kundenfeedback Funktionen erstellt werden, die sich möglicherweise nie rentieren werden. Hat es sich gelohnt, die Rezepte zu erstellen, die eigenen Fotos zu machen, die Videos zu drehen? Selbst nach dem Relaunch (also nach 350.000€) wird das nicht klar. Es fehlt schlichtweg der Vergleich. Das Kundenfeedback erst zu so später Stunde einzuholen, ist aus Lean CRM Sicht ein vermeidbares Risiko.

Die Kundenbedürfnisse zu erschließen ist vielmehr ein Prozess. Mehr noch, wenn ich den Kanal Online professionell bedienen möchte, dann muss ich dies im Vertrieb zu einer Kernkompetenz machen. Es funktioniert schlichtweg nicht, dies komplett an eine Agentur auslagern zu wollen. Der Lean-Prozess sieht vor, mit minimalem Aufwand eine maximale Lernkurve zu erreichen. Ausgangspunkt dafür ist eine minimal funktionsfähige Anwendung (MFA), die dann sukzessive in sogenannten Sprints weiterentwickelt wird.

Die minimal funktionsfähige Anwendung (MFA)

Ich folge hierbei dem Lean-Startup Ansatz. Demnach ist die MFA der kürzeste Weg zum ersten Kundenfeedback. Es ist zur Überprüfung der Kernhypothesen oftmals nicht notwendig, die gesamte Anwendung in jedem Detail vollständig entwickelt zu haben. Im Gegenteil lassen sich erste richtungweisende Überprüfungen oftmals bereits vor dem Grundstein einer technischen Entwicklung einholen. Die Gründer von Zalando haben im eigenen Wohnzimmer angefangen Schuhe zu verpacken. Als Startup ist das der risikoloseste Weg um ein Geschäftsmodell zu erschließen.

Erweitert man den Ansatz um eine Service-Level-Restriktion / Qualitätsanforderung, so funktioniert dieses Modell ebenfalls innerhalb von Vertriebsorganisationen. Der Weg hin zu einem funktionsfähigen Geschäftsmodell führt also nicht mehr nur über die Verkaufszahlen als solche, sondern über das Erforschen des Geschäftsmodells in seinen Einzelteilen. Wer Neuland betreten will, sollte Kundschafter voraussenden. Wer Kapital investieren möchte, sollte das Geschäftsmodell vorher kennenlernen. Und zwar nicht aus dem Lehrbuch, sondern in der Realität.

Eine umstrittene Möglichkeit frühzeitig ein Feedback einzuholen, ist die die klassische Umfrage. Diese liefert allerdings keine echten Kennzahlen und ist oftmals auch zu abstrakt, um verlässliche Daten zu liefern. Um mit dem Markt in tatsächliche Interaktion zu treten, wird zunächst ein Konstrukt benötigt, dass real im Markt steht, dies jedoch mit minimalem Aufwand. Im Eingangs erwähnten Beispiel wäre dies möglicherweise eine einfache Landing-Page ohne das volle Produktportfolio, ohne Rezepte, ohne eigene Bilder und ohne eigene Videos. Diese ließe sich im o.g. Beispiel in vernünftiger Qualität bereits für ca. 3.000 Euro Fremdkosten bereitstellen.

So unterschiedlich die Geschäftsmodelle sind, die erkundet werden sollen, so unterschiedlich sind auch mögliche MFAs. Hier sind einige Beispiele:

Kampagnen-MFA: Eine der minimalistischen Formen der MFAs sind Kampagnen, ohne dass das Produkt oder die Dienstleistung bereits vollständig existiert (Beispiel: Dropbox). Ziel ist es, festzustellen wie hoch das Interesse an dem Produkt tatsächlich ist, bevor ein hoher Aufwand mit der Produktentwicklung betrieben wird. Testgruppe sind die frühen Anwender, also jene, die das potentiell höchste Interesse an dem Produkt haben. Um die tatsächlichen Interessenten nicht als Versuchskaninchen dastehen zu lassen, sollte diesen ein Mehrwert gewährt werden, auch für den Fall, dass das Produkt am Ende nicht eingeführt wird.

Manuelles MFA: Es wird zum Beispiel eine Dienstleistung angeboten, die jedoch noch nicht in den Systemen abgebildet, sondern weitgehend manuell erbracht wird (Beispiel: Groupon). Das muss sich anfangs keineswegs rechnen, eignet sich aber durch die starke persönliche Interaktion bestens zur Erkundung bestimmter Dienstleistungen. Sind die Nachfrage und Zahlungsbereitschaft ausreichend, wird standardisiert, automatisiert und so die cost-to-serve gesenkt.

Prototyp MFA: Es wird mit minimalem Aufwand der Kern des Geschäftsmodells realisiert. Dies könnte beispielsweise ein Kundenportal sein, in dem aber zunächst nur die Kernfunktionalitäten bzw. ausschließlich eine Kernfunktionalität abgebildet wird. Dieses wird einer für die Funktionalität besonders affinen Testgruppe zur Verfügung gestellt und dann Schritt für Schritt weiterentwickelt.

Denn nichts anderes sind MFAs. Sie sind der erste, möglichst kurze Schritt zu einem messbaren Ergebnis und damit die Ausgangsbasis für jeden weiteren Aufwand. Ist ein MFA erst einmal vorhanden beginnen die Iteration, die Sprints, um aus dem Prototypen ein echtes Erfolgsprodukt zu erstellen.